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Nationalpark Steigerwald

Geschichte eines verlorenen Paradieses

Anmerkung von  Fritz Roßteuscher zur Schrift von J.M.Fehr:
„Anchora sacra vel Scorzonera“ von 1666

 (Prodromus)
Psalm 104-13:

 „Du feuchtest die Berge von oben her,
du machst das Land voll Früchte,
die Du schaffst

 

 Das Paradies, von dem die Geschichte erzählt, lag in einer flachen Senke, etwa 4 km in der Länge und kaum breiter als 1 km, in einem sanften Bogen, von Südost nach Nordost ziehend.

Es war geformt von den Wassern der Nacheiszeit, die, nachdem sie abgelaufen waren, größere und kleinere Senken zurückließen, in denen sich erst Wasser ansammelte und die auch in späteren Zeiten so feucht waren, daß der Wald keinen Besitz davon nehmen konnte. Auf diesen Flächen wuchsen Blumen und Gräser in großer Zahl. Die Fülle der Arten hatte nichts ihresgleichen.

Die Menschen, die im Umkreis dieses Paradieses lebten, ihre Felder bestellten und die Wiesen nutzten, haben es über Jahre hinweg nicht zerstört. Ja, ihr Tun hat die Fülle noch bereichert.

So konnte der erste Zeuge, der uns eine Beschreibung hinterlassen hat, vor ~ Jahren voller Begeisterung schreiben:

 Hier im glanzvollen Frühling scheint die Göttin Flora ihren Sitz aufgeschlagen zu haben und Apollo unter Musen und Grazien gleichsam zu tanzen, nach welchen ich diese Ebene genannt wissen möchte,... an dieser Stätte begegnet uns nämlich eine solche Mannigfaltigkeit, daß man glauben möchte, es seien dem Himmel Sterne entrissen und in diese elysischen Gefilde eingepflanzt worden, so daß die Wiesen wie dichtgedrängte Sterne den ganzen Sommer hindurch erstrahlen und man möchte wünschen, mit dem Dichter Catull ganz Nase, mit dem Wächter Argus ganz Auge zu werden. Daher wird dieser Ort, das Gemach des Apollo oder besser ein Apothekermarkt oder ein herrlicher Gottesgarten genannt werden. Diese Flur bietet uns tausendfältige Freuden des Adonis, Obsthaine der Alcinoe und der Hesperida und das Paradies selber."

 186 Jahre später schreibt ein zweiter Zeitzeuge:

 ,,Freilich verlieren wir durch die allenthalben steigende Kultur immer mehr Terrain für unsere Flora, und es ist hier ganz vorzüglich die Ausrottung des Distriktes Fröschbach an der Unkenmühle bei Schwebheim, welche eben im Werke ist und die fortgehende Urbarmachung, der von der Flora so gesegneten Grettstadter Wiese, zu beklagen."

 Weitere 69 Jahre später schreibt ein dritter Zeitzeuge.

 ,,Es gibt wohl nicht so leicht einen zweiten Fleck Erde in unserer deutschen Heimat, wo sich auf so kleinem Raum eine solche Fülle von Arten und darunter so manche seltene, wieder zusammenfindet. Und das Gleiche läßt sich von der Mannigfaltigkeit der Pflanzengenossenschaften von unserem Gebiete behaupten."

 Und noch einmal 39 Jahre später, also vor 40 Jahren schreibt ein vierter Zeitzeuge:

 ,,Obwohl schon stark antropogene Eingriffe in den Haushalt dieses locus classicus Mainfrankens vorgenommen wurden, bietet er noch immer eine Fülle des biologisch Interessanten und Köstlichen."

 Aber er richtet auch einen dringenden Appell an die Behörden, an die Wissen-schaften und an die Heimatpfleger, sich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln, weitere Eingriffe in das landschaftliche Kleinod dieses Sanktuariums des Bayemlandes zu verhindern. Leider ohne ErfolgI

 

 1. Einleitung

 Die Entwicklung in unserer Kulturlandschaft hat seit mehreren Jahrzehnten überall zu einer rapiden Verschlechterung der ökologischen Situation geführt. Von Jahr zu Jahr sterben immer mehr Arten aus; der Artenschwund hat ein bisher in der Geschichte nie gekanntes Ausmaß erreicht.

 Von verantwortungsbewußter Seite nehmen die Bemühungen zu, etwas zur Verbesserung der Lage zu tun.. Allerdings erfüllen diese Aktivitäten oft nicht die in sie gesetzten Erwartungen; an neu geschaffenen Biotopen (z.B. Feuchtbiotope) stellen sich im allgemeinen keine seltenen Arten ein.

Derartige Enttäuschungen lassen sich weitgehend vermeiden, wenn eine Zielkonzeption des Naturschutzes vorliegt, die die natürlichen Eigenarten, den spezifischen Wert und die ökologischen Entwicklungsmöglichkeiten eines Gebietes berücksichtigt.

Durch solche Vorüberlegungen können die geplanten Maßnahmen in eine erfolgversprechende Richtung gelenkt werden.

 

 2. Die Grettstadter Wiesen - Bedeutung für den Artenschutz

 

Die besondere klimatische und geologische Situation des Schweinfurter Beckens hatte zu einer einmaligen Ausprägung bestimmter, weitgehend baumfreier Lebensräume der Kulturlandschaft geführt.

 Kennzeichnend war die Kombination von steppenartigen Lebensräumen mit feuchten Niedermoorwiesen zu einem Biotopkomplex, der früher in den Niederungen von Froschbach und Unkenbach einen zusammenhängenden Bereich bildete. Besonders hochwertig waren die Grettstadter Wiesen zwischen Grettstadt und Schwebheim, die unter Fachleuten auch als „Grettstadter Reliktengebiet“ bekannt sind.

 Die überregionale, ja sogar internationale Bedeutung des Raumes wurde in zahlreichen Untersuchungen dokumentiert; die Einmaligkeit des Grettstadter Reliktengebietes hat immer wieder Naturwissenschaftler aus ganz Deutschland angelockt.

 Johann Michael Fehr, der Mitbegründer und zweite Präsident der Kaiserlich-Leopoldino-Carolinischen Akademie der Naturforscher, hat 1666 als erster eine begeisterte Schilderung hinterlassen:

Es befindet sich in der Nähe der Stadt Schweinfurt eine gleichförmig flache Ebene. Dem linden Hauch des Südwindes und seinen milderen Luftzügen gestattet sie reichlich Zutritt. Gegen Norden steigt sie sanft zu einer sichtbaren Höhe an und schließt dadurch die rauhen, kalten Nordwinde be quem aus. Durch die Mitte fließt ein Bächlein (der Unkenbach). Das Erdreich ringsum ist sandig-steinig, schwärzlich, fett und für den Anbau von Feldfrüchten sehr geeignet. Zu beiden Seiten des Bächleins liegen Wiesen, die zwar feucht, aber wegen der Üppigkeit des Futters für die Viehzucht sehr geeignet sind, bis in den späten Winter hinein. Hier im glanzvollen Frühling scheint die Göttin Flora ihren Sitz aufgeschlagen zu haben und Apollo unter Musen und Grazien gleichsam zu tanzen, nach welchen ich diese Ebene genannt wissen möchte, ähnlich wie die Wittenberger einen Berg in ihrer Nähe und die Altdorfer eine Wiese wegen der dort anzutreffenden pflanzlichen Kostbarkeiten demselben Gotte geweiht haben. An dieser Stätte begegnet uns nämlich eine solche Mannigfaltigkeit der Pflanzen, eine solche Schönheit der Blumen, eine solche Lieblichkeit von Düften und ein solcher Liebreiz von Blattformen, daß man glauben möchte, es seien dem Himmel Sterne entrissen und in diese elysischen Gefilde eingepflanzt worden, so daß die Wiesen wie dichtgedrängte Sterne den ganzen Sommer hindurch erstrahlen, und man möchte wünschen, mit dem Dichter Catull ganz Nase, mit dem Wächter Argus ganz Auge zu werden. Daher wird dieser Ort, das Gemach des Apollo oder besser ein Apothekermarkt oder ein herrlicher Gottesgarten genannt werden.“

 

Die Beschreibung von PRITZEL (1919) läßt bereits die kommende Veränderung der Moorwiesen erahnen:

 Wenn die Macht des Winters gebrochen ist und die Märzensonne die Schneedecke hinweggenommen hat, erstrahlt die Grettstadter Wiese im April in ihrem Frühlingskleide, und, indem ich FEHR’s Worte gebrauche: unter den Kindern Florens die erste und ihre Königin erscheint: Primula farinosa. Die  ganze Grettstadter Wiese von Sulzheim bis zur Unkenmühle ist dann bedeckt mit ihren Blütendolden, die in zartem Rot prangen. Besonders an den Grabenrändern, in den erwähnten Grenzfurchen und dem nassen Wiesenstück an der Unkenmühle hat sie die Führung, dort drängen sich die Exemplare auf dem nassen Rasen. An den gleichen Stellen gesellt sich zu ihr eine gleich vornehme, weil für die Ebene noch seltenere Frühlingszierde: Gentiana verna. Ihre leuchtend blauen Blütensterne trifft man jedoch nicht so zu Tausenden wie die Primel. Ich fand sie nur in den mittleren Abschnitten in größeren Gruppen, dort allerdings leider hart an den Grenzen der vorschreitenden Äcker, ja, ein Wiesenstück mit mehreren Gentianen-Gruppen hatte man im vorigen Jahre sogar mit Dünger beworfen, um es zu meliorieren oder umzupflügen.“

 Zusammenfassung:

 Besonders hochwertig waren die Niedermoorwiesen, die früher eine Ausdehnung von mehreren hundert Hektar hatten. Durch ihre Blütenpracht müssen sie sehr eindrucksvoll gewesen sein. Damals brütete der Große Brachvogel, eine wiesenbrütende Vogelart, noch im Gebiet. Alle Arten dieses Lebensraumes „Moorwiese“ bevorzugen Licht und Wärme; sie meiden schattige Standorte. Eine Bepflanzung zerstört den Lebensraum „Moorwiese“.

Die Wiesen sind Teil der Kulturlandschaft, d.h. sie müssen, wenn sie uns erhalten bleiben sollen, gemäht werden. Wenn längere Zeit nicht gemäht wird, dann verbuschen die Wiesen, Sträucher und Bäume beginnen zu wachsen und verdrängen schließlich den Lebensraum Moorwiese mit seinen seltenen Arten.

 

Was ist noch geblieben?

Die fruchtbaren Böden im Schweinfurter Becken wurden melioriert; es erfolgte eine Entwässerung und Kulturnahme der Moorwiesen. Damit wurde das berühmte „Grettstadter Reliktengebiet“ immer mehr dezimiert, fast alle Feuchtgebiete wurden trockengelegt und zu Ackerland umgebrochen.

Besonders schlimme Folgen hatte die Intensivierung der Ackernutzung, die gleichbedeutend ist mit dem Verlust des Ackers als Lebensraum. Äcker sind heute (anders als früher) lebensfeindliche Bereiche, die ökologisch tot sind.

 Von den Grettstadter Wiesen  im Bereich der Gemarkung Grettstadt sind nur 3 winzige Restflächen von zusammen 2Hektar übriggeblieben, die nun wie Inseln isoliert voneinander in der lebensfeindlichen Umgebung liegen.

Empfindlichere Arten wie der Große Brachvogel oder der Frühlingsenzian sind für immer aus dem Gebiet, und damit gleichzeitig aus Unterfranken, verschwunden. Viele Arten, wie Lungenenzian und Große Goldschrecke, kämpfen noch ums Überleben. Noch sind 60 % der seltenen Arten vorhanden, allerdings sind es winzige Restbestände, die derzeit kaum Zukunftsaussichten haben. Es ist abzusehen, daß das Artensterben unvermindert weitergeht, wenn nichts zur Rettung der Grettstadter Wiesen getan wird. 

 

 Die Zukunftsaussichten der Restbiotope

 Die geringe Flächengröße und die Isolation der Restflächen in der Ackerlandschaft sind Hauptursachen für den Artenrückgang. Die Reste der Grettstädter Wiesen sind derzeit an allen Seiten umgeben von Ackerland, das heute äußerst intensiv genutzt wird. Der massive Einsatz von Dünger und Spritzmitteln in den angrenzenden Äckern hat verheerende Folgen für die Restbiotope. Je kleiner die Flächen sind, um so stärker sind die Randeinflüsse und um so schneller sterben seltene Arten aus. Als Mindestfläche für ein funktionsfähiges Ökosystem werden 50 Hektar genannt -eine Größe, die im Schweinfurter Becken nirgends erreicht wird. Das bedeutet, daß so kleine Restbiotope in der landwirtschaftlich intensiv genutzten Flur langfristig nicht überlebensfähig sind, wenn nicht eine umfassende Zielkonzeption des Naturschutzes umgesetzt werden kann.

 Zielkonzeption des Naturschutzes

 Obwohl der Biotopverlust in den Grettstadter Wiesen als „fast total“ bezeichnet wird und sehr viele seltene Arten bereits unwiderruflich verschwunden sind, besitzen selbst noch die Restbiotope eine so herausragende Bedeutung, daß der Versuch nicht unterlassen werden sollte, zumindest den weiteren Artenschwund aufzuhalten.

Erforderlich ist zum einen eine baldige Stabilisierung der noch vorhandenen Biotoprelikte (3 Flächen), die als letzte Artenreservoire nicht weiter ausbluten dürfen. Wenn Arten erst aus unserem Raum verschwunden sind, wird es für Rettungsmaßnahmen zu spät sein. Durch Einrichtung von Pufferzonen um diese Kerngebiete (z.B. Umwandlung von Acker in Grünland) kann vermieden werden, daß negative Randeinflüsse die Biotope weiterhin zerstören. Die Pufferzone muß eine ausreichende Flächengröße aufweisen. Eine Extensivierung auf Randstreifen von wenigen Metern Breite ist angesichts der winzigen Moorwiesenrelikte unzureichend und wenig erfolgversprechend. Um eine ökologisch sinnvolle Lebensraumvergrößerung zu erreichen, ist langfristig eine flächige extensive Bewirtschaftung (Acker oder Grünland) im Umfang von etwa 50ha.

Erforderlich ist zudem die Schaffung von Verbindungen zwischen den isolierten Biotopen. Die Gräben stellen Leitlinien in diesem System dar, da sich hier noch seltene Arten aufhalten, bzw. am Graben entlang wandern. Die typischen Arten der Wiesenmoore vertragen wenig Schatten; daher sollten die Gräben als „Wanderstraßen“ von Beschattung freigehalten werden. Eine Bepflanzung würde hier eine Barriere darstellen.

Da es sich bei dem gesamten Ökosystemkomplex Grettstadter Wiesen um weitgehend baumfreie Lebensräume handelt, deren Arten empfindlich auf Beschattung reagieren, ist im Bereich der Pufferzone eine Freihaltung von dichter Bepflanzung sinnvoll. Dagegen würde in der weiteren Verbindungszone eine Bepflanzung mit Hochstamm-Obstbäumen an Feldwegen durchaus eine ökologische und gleichzeitig optische Bereicherung bringen (z.B. Lebensraum des Ortolan).

 Extensivierung über Naturschutzprogramme für die Landwirtschaft (Acker- und Wiesenrandstreifen Programm; Pufferzonenprogramm)

 Der Grundgedanke ist, daß bei den Landwirten auf freiwilliger Basis eine Umstellung auf eine weniger intensive Nutzung angeregt werden soll. Für die Ertragsminderung bei extensiver Nutzung erhält der Landwirt eine Ausgleichszahlung. Die Bereitschaft der Landwirte, bei diesen Programmen mitzumachen, ist ungemein groß. Leider sind derzeit die finanziellen Möglichkeiten der Förderprogramme des StMLU völlig unzureichend. Kaum irgendwo können wir mit unseren Naturschutzprogrammen ökologische Zielkonzepte erreichen, obwohl die Bereitschaft von Seiten der Landwirte besteht.

 Unser größtes Projekt befindet sich derzeit in der Gemeinde -Sulzheim, wo die Landwirte in der Umgebung des NSG Sulzheimer Gipshügel etwa 30 Hektar Acker extensiv bewirtschaften; diese Ackerflächen wurden 1988 in Grünland umgewandelt. Für den Nutzungsausfall bekommen die Landwirte 1.000,- DM/ha.

 Wesentlich höhere Kosten fallen im Bereich der Grettstadter Wiesen an, wo äußerst hochwertige, bewässerbare Böden mit einem Anbau von Sonderkulturen vorliegen. Hier sind Ausgleichszahlungen von mindestens 4.000,- DM/ha realistisch.

Von Seiten des Pächters von Gut Deutschhof besteht durchaus Bereitschaft zu einer extensiven Bewirtschaftung; derzeit wird jedoch über die Naturschutzprogramme nur eine Fläche von 2 Hektar (als Verbindung zwischen den beiden Wiesenmoorresten) als Grünland bewirtschaftet - eine Maßnahme, die wenig erfolgversprechend, weil zu kleinflächig ist. Mehr können wir uns jedoch derzeit im Rahmen der Naturschutzprogramme nicht leisten.